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Leb wohl, Schmetterling

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Theresienstadt: Geschichtlicher Hintergrund

1. Das Muster-Ghetto

Die Festung Theresienstadt, eine kleine Garnisonstadt etwa 60 km nördlich von Prag, gelang in das Bewußtsein der ganzen Welt als ein tragisches Symbol während des zweiten Weltkriegs, als die ganze Stadt zu einem einzigen großen Gefängnis für Juden wurde. Die Entstehung Ende 1941 des jüdischen Ghettos in Theresienstadt war ein Bestandteil eines Plans des Stellvertretenden Reichsprotektors Reinhard Heydrich, der ein Sammel- und Durchgangslager brauchte, wo hauptsächlich Juden aus dem Protektorat provisorisch einquartiert werden konnten, vor der weiteren Deportation nach Osten in die Vernichtungslager, deren Kapazität damals noch nicht ausreichend war. Bei der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942, als der Plan der "Endlösung der Judenfrage" konkret gestaltet wurde, wurde die Rolle von Theresienstadt ergänzt: die Festung sollte als „Ghetto der Alten“ dienen. Juden über 65 Jahre, sowie auch prominente Personen (z.B. Künstler und Wissenschaftler), Träger hoher Auszeichnungen und Kriegsbeschädigte des ersten Weltkriegs sollten angeblich im Theresienstädter Ghetto für immer bleiben, wodurch das wirkliche Ziel und der Umfang der Endlösung verschleiert wurde. Um den Anschein zu erwecken, dass die Stadt von den Juden selber verwaltet sein sollte, wurden einen „Ältestenrat“ und eine „Selbstverwaltung“ gebildet, die sich um die innere Angelegenheiten des Lagers zu kümmern hatten. Als 1943 die grauenvollen Nachrichten über die Vernichtung der Juden aus den KZs durchsickerten, bewilligten die Nazis einen Besuch des Ghettos von der Internationalen Roten Kreuz und unternahmen eine sog. „Verschönerung“ der Stadt - eine Reihe von kosmetischen Maßnahmen die die Lage der Häftlinge wenig verbesserten, aber den Eindruck gaben, Theresienstadt sei eine Art von Kurort, wo Juden den Krieg ziemlich sorglos überleben konnten. Der Besuch fand am 23. Juni 1944 statt, und wurde zu einer perfekt geprobten Theateraufführung mit den Verschönerungen als Kulisse: ein Meisterwerk der Nazi Propaganda und Verleumdungen.

2. Die Wirklichkeit: ein Konzentrationslager

In Wirklichkeit herrschten in Theresienstadt KZ-Verhältnisse: Trennung der Familien, Verbote und Erniedrigungen, Gewalt, Zwangsarbeit, Mangel an den notwendigsten hygienischen Einrichtungen, Plage durch allerlei Ungeziefer, Unterkunft in völlig überfüllten Räumen. Es starben durch Krankheit und Erschöpfung bis zu 150 Menschen pro Tag. Dazu litten die Häftlinge unter der permanenten Angst, in den Osten weiter transportiert zu werden. Ohne die genauen Verhältnisse in den Vernichtungslagern zu kennen, vermuteten die meisten, dass es eine Reise in den Tod war. Die Gesamtbilanz ist erschütternd: Von den etwas mehr als 150 000 Häftlingen, die in Theresienstadt passiert sind, starben an die 35 000 im Lager. Mehr als 88 000 Menschen wurden nach Osten deportiert. Nach dem Krieg meldeten sich von ihnen nur 3 000.

„Die Selbstverwaltung“: In Wirklichkeit war die jüdische Selbstverwaltung ein unwilliger Arm der SS-Kommandantur, deren Verordnungen und Befehle sie zu erfüllen hatte. Diese wurden mündlich gegeben und von der Selbstverwaltung in Tagesbefehlen mitgeteilt. Dem Ältestenrat boten sich keinerlei Alternativen zu dem von der SS erzwungenen Gehorsam, aber dennoch wurde versucht, den Menschen das Lagerleben erträglicher zu machen.

3. Ein Sammellager für Kinder

Etwa 11 000 Kinder hielten sich zeitweise in Theresienstadt auf. Die Selbstverwaltung sah es als eine ihrer Hauptaufgaben, die Kinder vor den Lagerverhältnissen physisch und moralisch zu schützen. Theresienstadt ist bekannt für die Bemühungen der Erwachsene, die Kinder zu vollkommenen, gebildeten Menschen zu erziehen.

Ab 1942 herrschte die Tendenz, die Kinder in besondere Heime zu vereinen. Dort wurde nach und nach die überwiegende Mehrheit der jüngsten Häftlinge konzentriert, die nach Alter und Geschlecht getrennt waren. Ziel war es, dass die Kinder im Ghetto in ihrer Entwicklung nicht zurückblieben und nach der Beendigung des Krieges ohne größere Probleme in das normale Leben zurückkehren könnten. 20-30 Kinder bildeten gewöhnlich ein Heim. Jedes Heim hatte seine Betreuer oder Betreuerinnen, die die Kinder tagsüber beschäftigten und ihnen, trotz des Verbotes der Nazis, einen geheimen Schulunterricht gewährleisteten. Eine beliebte Tätigkeit in den Heimen war das Vorlesen von Büchern, Erzählen, Diskussionen, Aufführungen von Dramatisierungen von Märchen und Theaterstücken überhaupt. Unter den älteren Kindern entstanden Gedichte, Zeitschriften, es wurden Tagebücher geführt. Ihre Vorstellungen und ihre Sehnsucht konnten die Kinder auch durch Zeichnungen ausdrücken, in Zeichenstunden, die von der Kommandantur bewilligt waren. Und gerade die Tausende von Kinderzeichnungen, die in Theresienstadt verborgen geblieben sind, stellen oft das einzige Zeugnis über das Leben und die Tätigkeit der Kinder während ihrer Internierung im Ghetto Theresienstadt dar. Da die Kinder nicht arbeiten konnten, konnten sie nicht zur Arbeit für das Reich ausgenutzt werden, und nach der Deportation in den Osten erwartete sie der fast sichere Tod. Von den mehr als 10 000 Kindern, die in den Osten deportiert wurden, kamen etwa 100 zurück, keine unter 14 Jahren. Die Hoffnung aufs Überleben hatten nur die Kinder, die während des ganzen Krieges in Theresienstadt geblieben waren.

4. Das „singende-Ghetto“: Bildung und Kultur in Theresienstadt

Theresienstadt ist auch als Unikat in die Geschichte eingegangen als „Kulturghetto“, ein Ort der Kunst, des Theaters, der Musik, und der Bildung. 

Kulturelle Aktivitäten waren anfangs verboten gewesen und hatten allenfalls heimlich stattgefunden; erst 1942 wurden sie zunächst gebilligt und schließlich von der SS ausdrücklich gefordert. Auch die Kunst in Theresienstadt sollte den Nazis als Alibi dienen und gleichzeitig  als eine Kulisse, um das grausame Schicksal zu verheimlichen, das sie den Juden schon längst vorbestimmt hatten.

Die Häftlinge aber haben die Lage auf eine andere Weise aufgefaßt: Kultur und Bildung waren für sie eine unschätzbare Kraftquelle im Angesicht der Nazibarbarei, die nach allem trachtete, was ihren Opfern gehörte, ihrem materiellen und geistigen Besitz, ihrer menschlichen Würde und ihrem Leben. Im Lager habe die Kultur für einen nicht unerheblichen Rest Sozialwärme gesorgt, ohne die das Leben erstarrt. In ihr haben sich Erinnerung und biographische Selbstvergewisserung kristallisiert, Spontaneität und Selbstbestimmtheit, Gemeinschaftserfahrung und Selbstachtung.

Täglich wurden Lesungen, Vorträge und Konzerte organisiert sowie Opern und Theaterstücke einstudiert und aufgeführt. Nach und nach konnte sogar eine Zentralbibliothek eingerichtet werden. Zeitweilig wurden bis zu zehn Veranstaltungen pro Abend angeboten.

Quellen:
L. Chládková, Ghetto Theresienstadt, Verlag Nase vojsko, Gedenkstätte Terezín,  Dokumente, Band 234, Prag 1991.
B. Müller-Wesemann, (Hgg.) in Jeder Tag in Theresienstadt ist ein Geschenk, Ergebnisse Verlag, Hamburg 1996.  
G. Heuberger, Im Ghetto-Lager Theresienstadt, in „Vom Bauhaus nach Terezín“,  Ausstellungskatalog des Jüdischen Museums der Stadt Frankfurt am Main, Frankfurt1991.

 

AUF DEM WEG NACH THERESIENSTADT
Ein Reisebericht von Heide von Hohenzollern

Am 26. Oktober 1997 fuhren die jugendlichen Ensemblemitglieder des „Theater in der Vorburg“, als Vorbereitung der Hauptprobenphase für Leb wohl, Schmetterling zu einem Studienwochenende nach Theresienstadt.

Der erste Tag konzentrierte sich auf Prag. Führungen durch einige Synagogen waren geplant, um einen Einblick in die jüdische Glaubenstradition, die Geschichte und die Lebensgewohnheiten zu bekommen. In der Pinkassynagoge, heute Gedenkstätte für die fast 80.000 Opfer der tschechischen Vernichtungslager, stehen die Jugendlichen betroffen vor den Wänden, auf denen die Namen der Toten aufgeführt sind. Bewegender Moment als sie einige der Namen ihrer Theatercharaktere finden. Die Figuren des Stückes lösen sich aus dem theatralischen Konzept und werden lebendig, die Verantwortung, die die Rolle den Schauspielern auferlegt, vertieft sich.

Tief berührt stehen die Jungen und Mädchen vor den Zeichnungen der Theresienstadt-Kinder, lesen die Namen und die Altersangaben. Die naiven, oft auch erschütternden Zeichnungen spiegeln die grausame Realität des Ortes wieder. Am Nachmittag findet im alten jüdischen Rathaus eine 3 1/2 Std. Fragestunde mit Überlebenden statt. Die vier Frauen erzählen von ihrer Jugend vor den Pogromen. „Ich wußte gar nicht richtig, was Jude bedeutet, sagt eine von ihnen, wir feierten alles, Weihnachten, Hanuka. Ich hatte viele Freunde. Aber dann wurden plötzlich Hetzlieder gesungen, das Schimpfwort „Saujud“ kam auf. Ich musste die Schule verlassen”. Sie erzählen von der Deportation, von der Ankunft in Theresienstadt, von den Zuständen in den Baracken, dem Ungeziefer, dem Hunger, und vor allem von dem totalen Verlust einer Privatsphäre, die sie als Kinder nicht so stark vermissen, die aber für die Erwachsenen unerträglich wird. „Junge Menschen konnten sich besser an die Umstände anpassen, da sie noch keine Vergangenheit hatten“. Geduldig antworten die vier Frauen den schlichten, gut überlegten, oftmals aufs Praktische gerichtete Fragen. Die Berichte der Frauen hallen in den Kindern noch nach, als sie am nächsten Tag von Herrn Jecha durch Theresienstadt geführt werden. Sie gehen an den Männer- und Frauen- und Kinderbaracken vorbei, über den Versammlungsplatz zum Hinterhof, wo die Essensausgabe stattfindet bis hin zur Verladerampe nach Auschwitz. Der Besuch endet mit einer emotionellen und erfolgreichen Aufführung von Auszügen aus dem Theaterstück, in dem kürzlich rekonstruierten Dachbodentheater der jüdischen Häftlinge, vor einem gemischten Publikum von Deutschen und Tschechen. Es war das erste Mal seit Kriegsende, dass die Bühne wieder benutzt wurde.

 

Musik, Chansons und Gedichte von Leb wohl, Schmetterling

„An allem sind die Juden Schuld“
Text: Friedrich Hollaender, Musik: Georges Bizet. Die Chanson „An allem sind die Juden schuld“ stammt aus der Zeitkritischen Revue „Spuk in der Villa Stern“ (1931), wo F.H. sich mit der spiessigen Welt der Kleinbürger und Neureichen, unter denen Antisemitismus stark verbreitet war, auseinandersetzt.

„Wir leben ewig“
Text: Leib Rosenthal. Die Chanson „Mir lebn eybik“, hier in deutscher Übersetzung, gehörte zum Finale der gleichnamigen Revue, die im Wilnaer Ghetto-Theater 1943 aufgeführt wurde.

„Die Stadt Als-Ob“
Text: Leo Strauss. Leo Strauss kam 1942 nach Theresienstadt, wo er neben Hans Hofer und Karel Schvenk der bekannteste Kabarettist war. Im Herbst 1944 wurde er in den Tod geschickt. „Als ob“ war im Lager das populärste Couplet.

„Ich bin ein kleiner Koffer“
Text: Ilse Weber. Auszüge aus „Ein Koffer spricht“,  in „In deinen Mauern wohnt das Leid - Gedichte aus dem KZ Theresienstadt“, Bleicher Verlag, 1991. Ilse Weber kam am 6. Februar 1942 mit ihrem Mann und ihrem jüngeren Sohn Tommy aus Prag nach T. Tommy und sie wurden am 6. Oktober 1944 in Auschwitz ermordert.

„Mayn Yingele“
Original Text in Yiddisch von Morris Rosenfeld (1862-1923), Musik: traditional.

„Bei mir bis du schön“
Text: Jacob Jacobs (1892-1972), Musik: Sholom Secunda (1894-1974). Dieses 1933 in den USA entstandene jiddische Lied wurde in einer von Sammy Cahn und Saul Chaplin verfassten englischsprachigen Version 1937 durch die Andrew Sisters weltweit populär. Sie wurde in Theresienstadt u.a. als Filmmusik für den Propaganda-film „Theresienstadt“ benutzt.

„Theresienstädter Marsch“
Text und Musik: Karel Schvenk. Schvenk, genannt  „Theresienstädter Aristophanes“, kam am 24.11.1941 mit dem ersten „Aufbaukommando“ aus Prag nach T. Er führte jährlich ein grosses Kabarett-Programm auf und wirkte daneben gelegentlich in Bühnenaufführungen mit. Am 1.10.1944 kam er in einem Transport nach Auschwitz. Er starb Anfang 1945 auf einem Todesmarsch bei Meuselwitz (Leipzig). Die „Theresienstädter Marsch“ wurde zu einem Art Ghetto-Hymne.

„Selige Sehnsucht“
J-W. von Goethe, „West-oestlicher Diwan“.

Instrumental:

Gideon Klein: Sonate für Klavier, 1. Satz und Streichtrio,  2. Satz.
G. Klein (Prerov 1919-Fürstengrube 1944) stand am Beginn einer vielversprechenden Pianistenlaufbahn als er nach T. am 4.12.41 deportiert wurde. Im Lager entwickelte er sich ausserdem mit erstaunlich sicheren und originellen Werken zu einem wirklichen Komponisten. Klein kam am 16.10.1944 in einem Transport nach Auschwitz, von dort ins Lager Fürstengrube, wo er in Januar 1945 starb.

Charlie Chaplin: „Falling Star“

Schubert: „Moments musicaux“

Oper:

Hans Krása: „Brundibar“
Kinderoper, die der Komponist in Theresinstadt neu orchestrierte und mit Kindern aus dem Lager einstudierte. Die Oper hatte mehr als 50 Aufführungen und wurde ein großes Erfolg auch bei den Erwachsenen. Ihre Melodien hat fast jeder Häftling gekannt.

 

Erzählungen:

Die Märchen, aus denen  Klara Schiller und Jan Rosen vorlesen sind von Oscar Wilde: „Der eigensüchtige Riese“ und „Der glückliche Prinz“.

 

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